Meine letzte Mission
Für die in Steraparone, Italien, stationierte 483. Bombergruppe war der 22. Oktober 1944 ein schöner und sonniger Tag. Ich hatte den Morgen damit zugebracht, unser Zelt zu reinigen, eine kalte Dusche zu nehmen, und erledigte jene Dinge, die man an solch freien Tagen regelt. Ich war sicher, dass ich am nächsten Tag einen Einsatz fliegen würde. Um ca. 14 Uhr überprüfte ich die Anschlagtafel im Hauptquartier der 840. Luftstaffel und sah meinen Namen und die Mannschaftszuteilung für den 23. Oktober. Die Crewmitglieder waren wie folgt:Pilot: Howard Dallmann
Co-Pilot: David M. Morey
Navigator: Charles W.Sandman jun.
Bombenschütze: Jessie E. Poole
Bordingenieur: Wilfred E. Hebert
Funker: Erskine L Walker
Linker Schütze: William B. Eddison jun.
Rechter Schütze: Glenn A. Lillie
Kugelturm: Gerald D. Deede
Heckschütze: Robert G. Fleshman
Dies würde für den Co-Piloten die zweite, für den rechten Schützen, den Funker und den Heckschützen jedoch die erste Mission sein. Der Navigator, der Bordingenieur und der Kugelturmschütze würden ihre 20. Mission fliegen. Jerry Deede, der Kugelturmschütze, hatte seine erste Mission mit mir in München, Deutschland am 4. Oktober geflogen, wo wir einen großen Rangierbahnhof bombardierten. Bei dieser Mission hatten wir einen 88 mm-Flakeinschuss an der linken Seite der Nase (Kanzel). Leider ging das Flakgeschoss direkt in das Herz meines Navigators und tötete ihn auf der Stelle. Das war ein großer Verlust für mich, denn er war mein engster Freund und das einzige andere, auch verheiratete Crew-Mitglied. Sein Name war Irving Liebman und er kam aus New York. Es war keine einfache Aufgabe, nach Beendigung des Krieges, seine Frau aufzusuchen. Ich denke oft an ihn.
Meine letzten 20 Einsätze hatte ich jeweils mit Crewmitgliedern geflogen, die noch niemals einen Kampfeinsatz geflogen hatten. Das bedeutete für mich und die verbleibende Crew eine doppelte Portion an Anstrengung und Aufmerksamkeit, um sicherzustellen, dass die neuen Crewmitglieder die Kampfhandlungen erlernen. Außerdem hatte ich nur mehr wenige Einsätze zu fliegen, um meine „50“ voll zu haben, und so begann ich, leicht aufgeregt und ängstlich zu werden, denn ich wollte meine Einsätze erfüllen und in die Staaten zurückkehren. Ich fragte, ob ich beim diensthabenden Offizier, Captain Fowler, vorsprechen könne. Nach kurzem Warten wurde ich in sein Büro geführt und man bat mich, inzwischen Platz zu nehmen. Nachdem ich Captain Fowler mein Problem, in letzter Zeit immer unerfahrene Crewmitglieder gehabt habe, geschildert hatte, erklärte er mir, welch gute Arbeit ich bei der Einschulung von neuen Crewmitgliedern geleistet hatte, und dass ich nach dieser Mission eine Crew bekommen würde, die sich aus lauter kampferprobten Fliegern zusammensetzte. Captain Fowler nahm sich meines Problems sehr an und versicherte mir, dass er sich darum kümmern würde. So verließ ich das Büro mit dem guten Gefühl, dass dies meine letzte Crew von Neulingen sein würde.
Spät am Nachmittag kam Post und ich erhielt einen Brief von meiner Frau, in dem sie mir mitteilte, dass sie Polio gehabt habe, bereits wieder aus dem Spital entlassen sei und dass alles in Ordnung ist. Mir war der Begriff Polio nicht vertraut, und so ging ich zum Flugarzt, um ihn zu fragen, was das bedeutete. Vermutlich wollt er mich nicht beunruhigen, weil ich am nächsten Tag einen Einsatz hatte.
Der Weckruf war um ca. 4.30 Uhr und nach einem Frühstück mit Pulvereiern und Pfannkuchen gingen wir in den Gruppeninformationsraum hinüber, neugierig zu erfahren, was das heutige Ziel sein würde. Natürlich hofften wir alle auf einen „Milcheinsatz“ in Jugoslawien, mit einem Ziel, das nicht schwer verteidigt sein würde, und wir auf keine feindlichen Kampfflugzeuge stoßen würden. Nach dem Appell und dem Rapport enthüllte der Nachrichtenoffizier die Europakarte und kündigt an, dass das Ziel des Tages die Skoda-Munitionsfabrik in Pilsen in der Tschechoslowakei sein würde. Er fuhr fort, einem kurzen Überblick über die Mission zu geben, inkl. der dort vorhandenen Zahl an Flakgeschützen und deren Positionierung. Die Bombardierungshöhe des Tages sollte 25.500 Fuß sein und das verursachte einiges Gemurmel im Raum, da die meisten Crewmitglieder eine größere Höhe vorziehen. Nach meinem Wissen war dies das erste Mal, dass die 15. Air Force-Kompanie den Auftrag zur Bombardierung des Skoda-Munitionsfabrik erhielt. Formationszuweisungen wurden auf dem Radarschirm gezeigt und so sahen wir, dass die 840. Luftstaffel links neben der Führungsstaffel fliegen sollte und wir sollten am linken Flügel der 2 Führungsgruppen in 5. Position fliegen.
Die Formationsbildung und der Flug zum Ablaufpunkt verliefen ohne besondere Vorfälle, außer, dass ungefähr 2 Stunden vor Pilsen die 2. Hauptstaffelgruppe wegen Motorversagens ausschied und wir angewiesen wurden, deren Platz zu übernehmen. Ich mochte es nicht, in jener Position zu fliegen, denn man muss dabei leicht unter und hinter der Hauptstaffel fliegen. Am Flügel zu fliegen war viel leichter. Der Co-Pilot führte die Sauerstoffchecks durch mit allen Crewmitgliedern, die selbst darauf achteten. Abgesehen von der Tatsache, dass es einige Crewmitgliedern an Kampferfahrung mangelte, war es eine ganz ausgezeichnete Mannschaft, die ihre Pflichten genau kannten und eine gut Disziplin bewahrte.
Kurz nachdem wir den
Ablaufpunkt erreichten, stießen wir auf heftiges Flakfeuer und zwar
sowohl auf 88 mm (schwarze Detonation), als auch auf 105 mm (weiße
Detonation). Unser Motor Nr. 3 wurde getroffen, eine schwarze
Rauchwolke drang heraus. Der Bordingenieur empfahl, den Motor Nr.3 in
Segelstellung zu setzen und ich gab die Anordnung dazu. Der Co-Pilot
bediente den Segelstellungsknopf und führte die checklistenmäßige
Operation aus, während ich die „alte Shadrack“ weiterflog. Ich ging mit
den verbleibenden 3 Motoren auf volle Leistung. Aber obwohl ich so
leicht mit er Formation mithalten können sollte, blieben wir zurück.
Möglicherweise war dies darauf zurückzuführen, dass alle Motoren, mit
Ausnahme von Nr. 4, bereits gut über 500 Kampfstunden hinter sich
hatten und etwas ermüdet waren. Da es mir unmöglich war, in der
Formation zu bleiben, machte ich eine Linksschleife nach unten und
ordnete dem Bombenschützen an, die Bomben abzuwerfen. Ohne dass ich
danach fragen musste, gab der Navigator mir den Kurs Richtung
Basisflughafen an. Kurz nach Vollendung der Schleife gab es eine
Flakdetonation recht vom Cockpit und der Bordingenieur ordnete eine
Linksschleife an. Glücklicherweise war die nächste Detonation zu
unserer Rechten und verfehlte uns bei weitem. Wir konnten unsere Höhe
beibehalten, aber unserer Freude dauerte nur kurz, denn der 2. Motor
begann zu vibrieren und ich dachte schon, dass der linke Flügel
ausfallen würde. Wir brachten Nr. 2 schnell in Segelstellung und ich
befahl dem Navigator eine Kurskorrektur in Richtung Schweiz
durchzuführen. Zu dieser Zeit arbeitete Motor Nr. 1 nur mit halber
Kraft. Der Navigator gab mir den Kurs Richtung Schweiz an, und wir
waren zuversichtlich, es bis in eine neutrales Land zu schaffen, obwohl
eine Wolkendecke den Boden vollkommen bedeckte und wir den aktuellen
Standpunkt nicht mit Sicherheit ausmachen konnten. Zu dieser Zeit
verloren wir ca. 200 Fuß pro Minute an Höhe und flogen mit ca. 120
Meilen je Stunde. Alle Crewmitglieder, die nicht zum Bedienen oder
Steuern der Maschine benötigt wurden, warfen alle nicht benötigte
Ausrüstung ab, einschließlich des Kugelturms, der Gewehre und der
Munition.
Wir hatten keinen Sichtkontakt zum Boden, mit Ausnahme
einiger schneebedeckten Gipfel, die aus der Wolkendecke herausragten.
Und das war kein sehr vertrauenserweckender Anblick. Und dann entschied
ich, dass ich, sobald wir bei ca. 500 m Höhe über der Wolkendecke
angelangt wären, den Befehl geben würde, mit dem Fallschirm
abzuspringen.
Ich stellte den Autopiloten so ein, dass er die letzten Kursvorgaben
des Navigators ausführen würde und ca. 300 Fuß Höhe pro Minute
verlieren würde. Bei 500 Fuß über den Wolken angekommen, löste ich den
Autopiloten aus, gab jedem den Befehl zum Absprung und betätigte die
Alarmglocke. Als ich meinen Sitz verließ, konnte ich nur einen einzigen
Mann am Hinterausgang sehen, der auf den Absprung wartete, sodass ich
zur vorderen Einstiegsluke eilte und absprang. Sobald ich das Heck des
Flugzeuges passiert hatte, öffnete ich meinen Fallschirm und dieser
ging mit einem Ruck sofort auf. Er gab auch nirgends nach, denn ich
hatte mein Gurtzeug so eng geschnallt, dass ich kaum hätte gehen können.
Als ich durch die Wolkendecke sank, begann ich so stark zu schwingen,
dass ich schon glaubte, ich würde mich komplett im Fallschirm
verfangen. Glücklicherweise kam ich bald aus den Wolken heraus und sah
den Boden ca. 3000 Fuß unter mir. Ich versuchte den Schirm zu lenken,
indem ich an den Gurten zog, aber ich bemerkte, dass ich dadurch an
jener Seite die Luft aus dem Schirm nahm, ließ ich sofort davon ab. Ich
beschloss, dort zu landen wohin der Schirm mich trug. Als es soweit
war, landete ich zum Glück auf einer flachen Stelle mit ca. 20 x 20 Fuß.
Nachdem ich ein Loch in den Schnee gegraben und meinen Fallschirm dort
vergraben hatte, ging es rutschend und stolpernd den Berg hinab. Nach
einigen Stunden erreichte ich die Baumgrenze und fand einen relativ
einfachen Weg bergab. Als ich meinen Weg bergab so fortsetzte, in der
Hoffnung, in der Schweiz gelandet zu sein, gingen mir viele Gedanken
durch den Kopf. Dankbarkeit dafür, dass ich am Leben war, Besorgtheit
um meine Crewmitglieder, Befürchtungen, was nun auf mich zukommen würde
und schließlich das Bewusstsein, dass dies in der Tat meine letzte
Mission war.